Schlafschafe zu verhöhnen bringt nichts!

Jeder, der sich in den sozialen Medien bewegt, wird es unzählige Male gesehen haben, wie Freidenker63 den arglosen MerkelFriend anfeindet und ihn beschuldigt, dem Mainstream blindlings zu folgen und ein willenloses Schlafschaf zu sein. Freidenker63 hingegen ist stolz auf seine eigene Meinung und ist bereit sie mit scharfen Worten zu verteidigen.

Doch wenn die Meinung so eigen wäre, warum sieht man nur eine einzelne Aussage und weiß sofort den ganzen Pack an Glaubensgrundsätze dieser Person? Warum weiß man sofort, aus welchem Spektrum die Medien sind, die die Person konsumiert? Ist Freidenker63 womöglich kein Freidenker, sondern einfach ein schwarzes Schlafschaf? Also jemand der blindlings im 180°-Winkel weg trabt?

Freidenker63 wird das bestreiten und nun vielleicht auf den gesunden Menschenverstand verweisen. Davon hat er besonders viel. Seine Arbeit – als Elektriker, Aldi-Filialleiter, Klempner oder was auch immer – hat ihm den Sinn für das Praktische geschenkt. Dazu kommt noch die Menschenkenntnis, die er sich – qua Alter – angeeignet hat.

Aber wer kann denn all das nicht von sich behaupten? Gesunder Menschenverstand, Sinn für das Praktische, Menschenkenntnis – wie soll man überhaupt bemerken, wenn man etwas davon nicht hätte?

René Descartes schreibt in seinem Diskurs über die Methode (§1-1): „Der gesunde Verstand ist die bestverteilte Sache der Welt, denn jedermann meint, damit so gut versehen zu sein, daß selbst diejenigen, die in allen übrigen Dingen sehr schwer zu befriedigen sind, doch gewöhnlich nicht mehr Verstand haben wollen, als sie wirklich haben.“

An der Stelle sollte man misstrauisch werden – gegenüber sich selbst. Denn das ist nicht so einfach.

Wirkt ein Thema so eindeutig, weil man es tief durchschaut oder weil man es gar nicht durchschaut? In Internetdebatten taucht in diesem Zusammenhang ab und zu das Schlagwort „Dunning-Kruger“ als Beleidigung auf, das auf einen Effekt verweist, denn die beiden Sozialpsychologen David Dunning und Justin Kruger 1999 bekannt gemacht hatten: es gibt eine kognitive Verzerrung bei inkompetenten Menschen, die dazu führt, das eigene Wissen zu überschätzen. Plump ausgedrückt: man ist zu dumm, seine Dummheit zu bemerken.

Bei den heutigen Wissensbergen ist man zwangsläufig in fast allen Bereichen ein Laie. Dennoch macht es Spaß sich darüber zu unterhalten und die eine oder andere öffentliche Debatte wird auch den Experten einen neuen Blickwinkel bieten. Nur die bittere Aggressivität, die manche an den Tag legen, ist nicht geboten und auch kontraproduktiv. Wer seine Bisswütigkeit ein wenig seinem echten Wissen anpasst, dem wird weniger Hohn und Wut entgegenschallen.

In einem Thema kompetent sein, bedeutet auch die unterschiedlichen Blickwinkel zu kennen. Ich fände es gut, wenn man in Unterhaltungen dem auch auf den Zahn fühlen dürfte, also dem Gegenüber fragen dürfte, ob er denn die wichtigsten Gegenargumente kennt und sie fair darstellen kann. Nicht als Angriff, sondern nur als Diskussionsgrundlage und um festzustellen, wo man tatsächlich steht. Oftmals werden die Gegenargumente dümmer ausgelegt, als sie tatsächlich sind. Das könnte dann korrigiert werden und das Verständnis könnte ein wenig wachsen.

Natürlich sind bei vielen Internetdebatten von vornherein Hopfen und Malz verloren. Aber wenn es in wenigen Fällen hilft, ist schon etwas gewonnen.

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